Bin ich mir selbst eine gute Freundin?
Ich sitze mit meiner Freundin Sarah in einer Co-Working Session, von draußen hört man eine Person Gebete rezitieren.
Es handelt sich vermutlich um eine muslimische Person, die fünfmal am Tag betet und Sarah ist beeindruckt von ihrer Konsequenz.
Ich denke über Selbstmitgefühl nach und überlege, ob wir Selbstmitgefühl genauso konsequent üben sollten, wie andere Menschen ihre religiöse Praxis verfolgen.
Zur Erinnerung, was Selbstmitgefühl bedeutet, habe ich in Ninas Artikel Mitgefühl und wie Dyaden uns dabei helfen können folgende Worte gefunden: „Ich kann meinen Sorgen, Gedanken, Ängsten meine vollkommene Aufmerksamkeit schenken, ich kann mir zuhören, ohne mich dabei selber zu verurteilen und Lösungen finden zu müssen, ich kann mir gegenüber wohlwollend sein, mir Selbstmitgefühl schenken und damit für mich Klarheit und Entspannung gewinnen.“
Wie ist es aktuell um mein Selbstmitgefühl bestellt?
Ich befinde mich aktuell privat in einer schwierigen Situation, das Thema Kinderwunsch ist weiterhin aktuell und hinzukommt, dass eine Person aus meiner Herkunftsfamilie unheilbar erkrankt ist. Ich hatte Angst davor, wenn ich jetzt zu doll in die Situation gehe und darüber nachdenke, dass mir dann klar wird, wie schlimm die Situation eigentlich ist und ich dann nicht mehr so gut damit zurechtkomme, wie es aktuell scheinbar der Fall ist.
Eben habe ich mich dann durch Ninas Artikel wieder an den Unterschied von Empathie und Mitgefühl erinnert, Empathie ist das Mitleiden und den Schmerz der anderen Person so zu spüren, als wäre es der eigene Schmerz. Mitgefühl geht über Empathie hinaus. „Es bedeutet nicht nur die Gefühle anderer zu verstehen, sondern auch den Wunsch zu haben, ihr Leiden zu lindern und ihnen zu helfen. Mitgefühl braucht die Fähigkeit der Empathie, ist aber eher eine Motivation, die Handlungen fordert. Wenn wir jemandem mit Mitgefühl begegnen, verbinden wir uns mit der Person, leiden jedoch nicht mit ihr, sondern sind für sie da, ohne zu bewerten oder zu urteilen, ohne Lösungen anzubieten, wir halten sie und geben ihr Raum, wir sehen ihren Schmerz, ohne darin selber unterzugehen.“
Wie ist es bei Selbstmitgefühl? Es ist ja mein eigener Schmerz, aber kann ich dann mit diesem dann auch mitfühlend statt empathisch umgehen? Mich selbst gut begleiten, aber mich trotzdem nicht von meinem Schmerz begraben lassen?
Letzte Woche war ich mit einer Bekannten Mittagessen und sie fragte mich, wie ich überhaupt durch diese Situation komme. Und die Frage ist für mich schwer zu beantworten, weil ich es „einfach“ mache, mir das „wie“ nicht wirklich bewusst ist, aber ich vermute, dass es mit Praktiken der Selbstfürsorge und des Selbstmitgefühls zu tun hat, die ich in den letzten Jahren angewendet und geübt habe. Ich denke, dass ich dadurch einen guten Kontakt zu mir aufbauen konnte, mich selbst besser kennenlernte und geübt habe, einen anderen Umgang mit meiner inneren Kritikerin zu finden und weniger streng mit mir zu sprechen. Was mich begleitet und unterstützt hat: Coaching, Persönlichkeitsentwicklung, Meditation, der Austausch mit meinen Freund*innen und Kolleg*innen, Zyklusachtsamkeit, das Lesen von Romanen und Sachbüchern.
Meine aktuelle Routine besteht aus Yoga, Journal schreiben und um den Weißensee spazieren. Während des Schreibens, wird mir klar, dass es auch hier um Konsequenz und Kontinuität geht: mehrmals wöchentlich mache morgens zehn Minuten Yoga.
Was mir beim Aufbau meiner Selbstfürsorge geholfen hat? Mir klar zu machen, dass ich mich mit mir selbst beschäftigen darf und ich mich um mich kümmern darf. Insbesondere Frauen* fällt es schwer, sich selbst zur Priorität zu machen, weil sie es oft von klein auf gelernt haben, dass es zu ihren Aufgaben gehört, sich um andere zu kümmern.
Foto: Katharina Frucht