Mich offen und ehrlich zeigen, fällt mir nicht leicht. Heute weiß ich, dass das viel mit Scham und mich verletzlich zeigen zu tun hat.
Wenn man mich das vor 15 Jahren gefragt hätte, hätte ich wohl gesagt “klar zeige ich mich offen und ehrlich, ich nehme kein Blatt vor den Mund und jede:r weiß, woran er:sie bei mir ist”. Dann waren da immer mehr Momente, in denen ich gemerkt habe “hm, irgendwas stimmt nicht, das, was aus mir herauskommt, fühlt sich nicht an, wie das, was in mir ist”. Denn offen und ehrlich hieß für mich meine Wut rauszulassen, jedem meine Meinung zu sagen, eben ehrlich zu sein. Ich sprach dabei aber nie davon, was wirklich in mir vorging, sondern suchte Schuld, hatte starke Meinungen und dachte je lauter ich diese rüberbringe, umso klarer wird es. Ich war nicht wirklich offen und ehrlich, ich war vor allem laut und wütend. Und hinter dieser Wut lauerte ganz viel Scham.
Erst als ich vor 13 Jahren Mutter wurde, fing ich an mir darüber Gedanken zu machen. In meiner neuen Lebenssituation, mit komplett neuen Routinen, neuem Alltag, neuen sozialen Strukturen, war ich ganz schön gestresst und oft überfordert und sagte Worte, die ich bereute, die ich nicht so meinte, ich reagierte manchmal harsch und schämte mich dafür. Da war nun dieses kleine Wesen, komplett abhängig von mir und meinem inneren Zustand. Ich wollte so nicht sein als Mutter, ich las Erziehungsratgeber von Jesper Juul und war begeistert von seiner Haltung, konnte sie aber null umsetzen. Als ich dann noch anfing, wieder zu arbeiten, wurde der Stress nicht weniger und immer noch gab es Worte und Reaktionen von mir, für die ich mich schämte.
Es gibt ein Video von meinem Sohn, als er drei Jahre alt war, er hat einen Wischmopp in der Hand, Spülhandschuhe an, wischt ein Zimmer und sagt ganz laut und immer wieder “ich bin stinke sauer”. Er macht mich dabei nach, denn wenn diese innere Unruhe kommt, fange ich oft hektisch an aufzuräumen oder zu putzen, ein Muster, das ich früh entwickelt habe, um mich aus der Hilflosigkeit mit Struktur und Ordnung rauszuholen. Wenn ich das Video heute ansehe, muss ich lachen, aber lange habe ich mich einfach nur geschämt.
Ich versuchte im Aussen die Dinge anzugehen, versuchte Zeit für mich zu finden, in der ich mich vom Alltag ablenkte. Aber diese innere Unzufriedenheit und Unruhe blieb. Ich sehnte mich nach einer Verbindung zu mir selbst, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet und wie das eigentlich geht.
Eher beruflich bedingt bin ich in einem Coaching gelandet und habe dort für mich einen Weg gefunden, mich mit meinem Inneren und mir auseinanderzusetzen. Ich verstand, was in mir vorging, was mir wichtig war, was ich brauchte. Ich habe das erste Mal diese Verbindung zu mir bewusst wahrgenommen.
Bei einem dieser Coachings bin ich auf die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) gestoßen und habe mit meinem Mann einen Workshop besucht. Das war wie drei Stunden Paar-Coaching für uns, ich war total begeistert und berührt, denn wir konnten in den drei Stunden viele Worte, die oft einfach so aus uns rausschossen, klären, wir haben endlich verstanden, was hinter diesen Worten lag. Als ich mich anfing, näher mit der GFK zu beschäftigen, merkte ich, dass die Sprache, die Jesper Juul in seinen Büchern anwendet, auch an die GFK angelehnt ist.
Mehr als eine Sprache, ist die GFK für mich jedoch eine Haltung, die mich in meine Selbstverantwortung bringt: Ich bin als erwachsene gesunde Person für meine Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich! Andere mögen die Auslöser bieten für Gefühle, die in mir aufkommen, aber sie sind nicht verantwortlich dafür.
Ich fing also an mich näher mit der GFK zu beschäftigen und gleichzeitig schulte ich mich beruflich komplett um. Habe verschiedene Weiterbildungen im Bereich New Work und Selbstorganisation gemacht und – voilà – stieß schon wieder auf die GFK. Denn die GFK bietet eine Methode, mit der wir lernen können, uns selbst besser zu verstehen und damit auch mehr Verständnis und Empathie für andere aufbringen zu können. Wir kommen in eine Haltung, die ein gutes und wertschätzendes Miteinander fördert.
Für mich war die GFK zu lernen, das Beste, was mir passieren konnte. In den Trainings, die ich besucht habe, habe ich so viel berührende Momente und Kommunikation erfahren, wie noch nie in meinem Leben zuvor. Menschen übten sich darin, ihre Verletzlichkeit zu besiegen und sich offen und ehrlich zu zeigen. Ich kam das erste Mal selber an das ran, was wirklich in mir vorging und lernte es auszudrücken, lernte es zu spüren und in Worte zu fassen und damit kam ganz viel Klarheit, Ruhe und Entspannung. Ich wusste nun, wie ich mich mit mir selbst verbinden kann.
Im Prozess der GFK geht es darum, sich selbst Mitgefühl zu geben, das, was an Schmerz, Unruhe, Unwohlsein in dem Moment auftaucht, anzunehmen und mit Mitgefühl zu versorgen. Wenn wir unsere Wunden mit Mitgefühl versorgen, sind wir auch in der Lage anderen Menschen wirkliches Mitgefühl und Verständnis entgegenzubringen.
Oh Mann, ich wünschte, dass ich all das gewusst und erlebt hätte, bevor ich Mutter geworden bin.
Ich kann nicht behaupten, dass ich heute immer offen und ehrlich kommuniziere, dass ich immer weiß, was gerade im Moment in mir vorgeht, sich selbst kennenzulernen und zu entwickeln ist ein lebenslanger Prozess. Schicht für Schicht komme ich an meine alten Verletzungen und Muster, die ich entwickelt habe, um meine Beziehungen und mich zu schützen. Menschen werden durch Beziehungen verletzt (vor allem durch unsere frühkindlichen Beziehungen) und können auch durch Beziehung wieder heilen, in dem wir neue Beziehungserfahrungen machen.
Ich kann mir durch die GFK Selbstmitgefühl geben, kann mich schneller beruhigen und entspannen, kann meistens klarer formulieren, was ich brauche, aber vor allem mache ich niemanden mehr verantwortlich für meinen inneren Zustand, ich suche keine Schuld und ärgere mich damit nicht mehr so viel über mich und andere. Die größten Schritte in meiner Entwicklung, habe ich jedoch immer im Beisein anderer Menschen gemacht, im Coaching, in Therapie und vor allem in meinem GFK Gruppentrainings. Zu merken, dass ich ok bin, mit all meiner Verletzlichkeit, mit meinen Sorgen, Urteilen, mit meiner Trauer und auch mit meiner Wut und von anderen dafür Mitgefühl zu bekommen, das hilft mir am meisten, Schritt für Schritt, Schicht für Schicht mir selbst näherzukommen.
Es gibt wohl niemanden, der genauer erklären kann, wie Verletzlichkeit, sich offen und ehrlich zeigen, Scham und Mut zusammenhängen, als Brené Brown, deshalb zum Abschluss ein Zitat von ihr: