WIE DIE NEUGIER PLÖTZLICH WIEDER RELEVANT WIRD FÜR MICH

Von Maus, Vorschlaghammer und Debatten über sexualisierte Gewalt

Eigentlich wollte ich einen Artikel über Neugier als Fundament und Haltung unserer neu entwickelten 4C-Methode schreiben, aber ich war blockiert.

Wenn ich momentan an Neugier denke, denke ich an etwas niedliches und harmloses. Ich denke an eine kleine Maus. (Sorry an alle, die Angst vor Mäusen haben!) 

 

Dabei bin ich in den letzten Tagen sehr beschäftigt mit dem Thema sexualisierte Gewalt, ich bin wütend und traurig und dabei steigt in mir eher das Bild eines Vorschlaghammers, als einer kleinen Maus, auf.

Nach einem Konzert der Band Rammstein hat eine Frau aus Irland öffentlich darüber gesprochen, was ihr vermeintlich im Rahmen dieses Konzerts passiert ist.

Dies hat eine Welle der Solidarität ausgelöst, weitere Betroffene haben sich gemeldet und auch die Presse berichtet über den Fall.

Um Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein gibt es mutmaßlich ein System, dass ihm Frauen im Rahmen von Konzerten zuführen soll. Es besteht der Verdacht, dass diese Frauen mit Drogen und Alkohol gefügig gemacht werden sollen, damit diese sich auf sexuelle Handlungen mit Till Lindemann einlassen.

 

In den Reaktionen auf die Berichterstattung zu den MeToo-Fällen sind dabei  immer wieder die gleichen Muster, Rollen und Statements zu beobachten:

A) Schuldzuweisungen in Richtung der Opfer: man spricht hier von Victim Blaiming beziehungsweise von Täter-Opfer-Umkehr. Man versucht die Schuld beim Opfer zu sehen. Frau* ist doch selbst Schuld, wenn sie sich so anzieht, wenn sie nachts raus geht, wenn sie mit zu einer After-Show-Party geht. Nein, all dies muss möglich sein, ohne Angst vor einem Übergriff haben zu müssen.

 

B) Frauen, die den mutmaßlichen Täter in Schutz nehmen: Frauen* sind nicht frei von Mysogynie (Frauenfeindlichkeit). In einem Reel erklärt Kristina Lunz  das Konzept „proximity to power“, Frauen, die sich dem patriarchalen System anpassen, führen ein einfacheres Leben und machen schneller Karriere.

 

C) Pochen auf Unschuldsvermutung: So lang es keine Beweise gibt, gilt die Unschuldsvermutung. Nils Pickert schreibt in seinem Artikel Das System Einzelfall dazu folgendes: „Denn die [Unschuldsvermutung, A.B.] gilt nämlich nicht nur vollkommen zu Recht für mutmaßliche Täter, sondern auch für die mutmaßlichen Opfer. Um das mal gerade zurücken: Im Fall Lindemann existieren mehrere eidesstattliche Aussagen gegen den Sänger. Falschaussagen sind Straftaten – was ist eigentlich mit Unschuldsvermutung für diese Frauen, dass sie keine Straftat begangen haben? In Ermittlungen und Debatten der Unschuldsvermutung Raum zu geben, heißt mutmaßliche Täter nicht vorzuverurteilen. Es heißt aber eben auch, mutmaßliche Opfer nicht mit Dreck zu beschmeißen.“

Reflexartig wird auf diese Argumentationsmuster zurückgegriffen. Das scheint einfacher zu sein, als sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und differenziert darüber nachzudenken.

Und im Nachdenken über die Reaktionen im Diskurs zu sexueller Gewalt und Neugier, kraxelt die Maus den Vorschlaghammer hoch und wird wieder relevant für mich.

Wenn ich Neugier als Haltung kultiviere, dann wird es leichter nicht direkt automatisch auf ein bekanntes Argumentationsmuster zurück zu greifen, denn dann kann ich zum Beispiel Fragen stellen, auch wenn sie unbequem sind. Neugier kann helfen Annahmen und Überzeugungen zu hinterfragen und macht es leichter andere Perspektiven einzunehmen. Nina schreibt in ihrem Artikel zu Neugier als Fundament unserer 4C-Methode: „Wenn wir anderen mit Neugier begegnen, anstatt mit Urteilen und Bewertungen, entsteht ein offenes und respektvolles Miteinander. Anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen oder Annahmen zu treffen, sind wir daran interessiert, die Perspektive des*der Anderen zu verstehen.”

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