Workaction in Sydney – die Erwartungen sind hoch

Ich bin nun mit meinem Mann und unseren beiden Kindern seit fast vier Wochen in Sydney. Die Reaktion der meisten Menschen auf unsere 3,5-monatige Work- und Schoolcation war ganz begeistert. “Wie toll eine Auszeit, was anderes sehen, den grauen Winter in Berlin umgehen, die Energie- und Coronakrise ignorieren und dafür noch mal Sommer und mal ganz weg sein”. Neid, Tauschen wollen, sich für uns freuen. Ganz viele Tipps, was wir uns alles ansehen sollten.

Die Erwartungen an so eine Auszeit sind hoch, das muss doch toll werden, das muss doch eine mega Erfahrung für alle sein. So viel Zeit um mal nur mit uns zu sein, so viel zu entdecken, so viel zu erleben.

Fakt ist, in den letzten Wochen habe ich folgendes mitgenommen:

Ich merke, dass mein Körper ziemlich irritiert ist, warum es denn jetzt schon wieder Sommer ist. Eigentlich hat er Kälte, Einmummen und Rückzug erwartet. Zuerst bin ich krank geworden, dann konnte ich nicht wirklich schlafen, wollte nicht unter Menschen. Irgendwie wollte mein Körper hier nicht sein.

Außerdem bin ich seit meiner Ankunft auf der Hut. Gleich am ersten Tag saß eine riesige Spinne neben meinem Bett (nicht giftig, aber ich bekomme den Ekel nicht aus meinem Kopf) und allgemein kriecht hier auch wirklich ganz schön viel herum. Egal, wo ich gehe oder sitze, wird erst mal alles bewusst gescannt. Bei jedem Schritt, den ich in den Pazifik setze, erscheint der Weiße Hai Theme in meinem Kopf…. Ich gehe nur so weit rein, bis ich stehen kann. Dass meine Kinder diese Gedanken nicht haben, muss ich bewusst ignorieren und am besten wegschauen. Ich glaube mein Gehirn dreht durch, immerzu bin ich in Hab-Acht-Stellung. Was sich auch in meinem total verkrampften Nacken und Schultern zeigt. Mein erstes richtig langes Gespräch mit einer Australierin habe ich also gerade mit einer Osteopathin geführt. Ich hoffe, dass ich mich in den nächsten Tagen wieder richtig bewegen kann.

Verrückterweise waren die wenigen Stimmen, die nicht sofort gesagt haben „Oh wow Sydney für 3,5 Monate“, die die Angst vor den Tieren hier haben. Die Stimmen hatte ich in Berlin noch ignoriert „wir sind ja mitten in der Stadt“ war meine Reaktion darauf und nun …

Welche Erwartungen kommen von mir, welche von Außen

Ich versuche alle Erwartungen an so eine Auszeit gerade aufzudecken, mitzubekommen, wie es mir hier wirklich geht. Welche Erwartungen kommen von mir, welche von Außen. Was brauche ich hier eigentlich, um mich wohlzufühlen und was, um in dieser Zeit möglichst Erinnerungen zu schaffen, die eine Bedeutung für mich haben werden.

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation helfen mir dabei. Ich habe gelernt, meine Bedürfnisse dadurch zu entdecken und ernst zu nehmen. Und meine Gefühle helfen mir dabei, sie weisen mich darauf hin, was gerade unerfüllt oder erfüllt ist.

Es war mir in den ersten Wochen allerdings gar nicht möglich, da überhaupt ranzukommen. Ich war in so einer Starre, dass ich gar nichts gefühlt habe, außer diese große Anspannung. Seit ein paar Tagen ist es besser, ich bekomme mich wieder etwas mit. Ich merke viel Unsicherheit und den Wunsch nach Orientierung, vor allem, was die Kriechtiere angeht (lese gerade viel darüber und freunde mich an). Ich merke, dass ich gerade gar nichts Großes entdecken möchte, sondern es sehr genieße, viel Zeit für mich zu haben, in Ruhe arbeiten zu können, mich zurückzuziehen. Ich brauche gerade nicht das, was andere mit einer Auszeit in Australien verbinden. Muss nicht ganz Australien sehen, Land und Leute genau kennenlernen. Was ich gerade brauche, ist Erholung, Wachstum und Sinn durch meine Arbeit, Verbindung und Aufmerksamkeit in unserer kleinen Familie und vor allem viel (Selbst)Mitgefühl dafür, dass ich mich hier gar nicht so wohlfühle, wie ich es gerne hätte, wie es sich viele vorstellen, wie es sein sollte. 

Mitgefühl für mich selbst

Es ist ok, dass ich hier nicht all das mitnehmen werde, was andere machen würden, was der allgemeinen Vorstellung von einer Auszeit in der Ferne entspricht. Das zu erkennen und anzunehmen, mir selbst Mitgefühl dafür zu geben, öffnet mein Herz, die Dinge hier anders zu sehen, selber zu entdecken, und zwar nur das, was ich entdecken möchte, was ich gerade brauche.

Das Wasser bzw. das Meer und Strand waren schon immer mein Kraftort, davon gibt es hier zum Glück sehr viel. Vor ein paar Tagen habe ich mich das erste Mal auf einem Surfbrett versucht, bin kläglich untergegangen, aber dieses ganz kurze Strahlen in meinem Gesicht und die Freude und Freiheit, die in den 3 Sekunden auf dem Brett in mir aufkamen, haben mir den ersten Hinweis gegeben, in welche Richtung es hier für mich gehen kann.

Mal sehen, was ich hier in mir und für mich entdecken werden. Jetzt gehts erst los und vielleicht passiert auch gar nichts und das ist dann auch ok.

See ya!

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